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Die Sprache der Hände

Predigt von Bischof Dr. Bertram Meier
bei der Priesterweihe am Sonntag, 30. Juni 2024, im Dom zu Augsburg

Herr, auf dich vertraue ich. In deine Hände lege ich mein Leben.

Liebe Schwestern und Brüder!

Diese Worte sprechen wir täglich aus in der Komplet, dem Abendgebet der Kirche: Herr, auf dich vertraue ich. In deine Hände lege ich mein Leben.

Unsere drei Diakone empfangen die Priesterweihe in einer Zeit, in der die Kirche das Vertrauen vieler verloren hat. Gleichzeitig stellen wir fest, dass nicht wenige – auch junge Menschen – nach Wegen suchen, um neues Vertrauen in die Kirche zu fassen. So ist die Priesterweihe heute durchaus eine Frage des Vertrauens.

Wir alle, die wir in den Dom gekommen sind, freuen uns mit Ihnen, lieber Herr Ehrle, lieber Herr Fuchs und lieber Herr Reißner. Wir gratulieren Ihnen zu dem mutigen Schritt des Vertrauens, den Sie heute öffentlich setzen, oder besser des Vertrauens, das Gott und die Kirche in Sie setzt. Bevor Sie das Sakrament der Priesterweihe empfangen, lade ich Sie ein, mit mir den Weg der Liturgie zu durchschreiten. Gemeinsam wollen wir auf die Sprache der Hände achten und darin die Fingerabdrücke Gottes entdecken, die er heute den drei jungen Männern einprägt, indem er sie zu seinen Priestern weiht.

Das Gehorsamsversprechen

Am Anfang der Weihehandlung wird jeder Kandidat einzeln zu mir kommen. Ich werde ihn fragen: „Versprichst du mir und meinen Nachfolgern Ehrfurcht und Gehorsam?“ Die Antwort wird lauten: „Ich verspreche es.“

Was fällt Ihnen ein, wenn Sie Ehrfurcht und Gehorsam hören? Vielleicht denken Sie an Abhängigkeit, Fremdbestimmung und Manipulation. Heute stehen doch ganz andere Werte hoch im Kurs: Freiheit, Selbstbestimmung, Emanzipation. Die Frage nach Ehrfurcht und Gehorsam spitzt sich zu, wenn wir bedenken, was dabei geschieht: Sie, liebe Weihekandidaten, werden Ihre Hände falten und in meine Hände legen. Ihr Versprechen wird handgreiflich – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit der Übergabe der Hände wollen Sie sagen: „Ich lege meine Zukunft in deine Hände. Ich vertraue mich dir an.“

Genau da liegt der Haken: In die Hand versprechen… Wie ist das möglich? Von meinen Händen können Sie Ihre Zukunft nicht abhängig machen. Meine Hände sind nicht mehr ganz jung. Meine Hände sind auch nicht die stärksten. Doch es geht ja auch nicht um die Bischöfe als Menschen. Meine Hände, die Hände eines jeden Bischofs, sind eigentlich nur ein Zeichen: Sie stehen für die Hände Gottes. Menschliche Hände werden irgendwann einmal schwach, sie können versagen. Gottes Hände halten und tragen, stützen und schützen.

Liebe Weihekandidaten, Gott umschließt Ihre Hände, nicht um Sie festzuhalten oder Sie gar gefangen zu nehmen, sondern um Sie zu stärken, damit Sie dem Evangelium Hand und Fuß geben können. Beim Gehorsamsversprechen denkt der Bischof nicht: „So, jetzt habe ich den jungen Mann in der Hand“, sondern: „Der Priester und der Bischof ziehen an einem Strang.“ Wenn die Weihekandidaten ihre Hände in die meinen betten, dann legen sie die Hände nicht in den Schoß. Im Gegenteil: Sie erklären sich bereit, mit Hand anzulegen beim Aufbau des Reiches Gottes in unserer Diözese.

Damit entschlüsselt sich die Bedeutung des Gehorsams: Gehorsam heißt, mich dorthin schicken lassen, wo ich gebraucht werde. Mit einem so verstandenen Gehorsam wird die Freiheit nicht verkauft, sondern erst gewonnen. Freiheit mündet in Verfügbarkeit und Demut. Der Diener Gottes Regens Johann Evangelist Wagner war ein demütiger Mann. Ist es nicht bezeichnend, wenn ihm, einem 19-jährigen Abiturienten, im Zeugnis bescheinigt wird: „Was besonders betont werden muss, ist seine musterhafte Bescheidenheit.“ Diese Haltung der Verfügbarkeit drücken unsere Weihekandidaten dadurch aus, dass sie sich auf den Boden legen (Prostratio), während wir sie durch unser Gebet der Gemeinschaft der Heiligen anvertrauen. Diese Geste geht unter die Haut.

Die Handauflegung

Die Weihehandlung gipfelt in der Handauflegung. Schweigend werde ich unseren Weihekandidaten die Hände auflegen; es folgen unsere Weihbischöfe Anton, Florian und Josef, dann die vielen anwesenden Priester. Kein Wort kommt über meine Lippen. Es herrscht heilige Stille, getragen vom Klang der großen Glocke unserer Marienkathedrale. Und Sie, liebe Schwestern und Brüder, sollen unsere Weihekandidaten mittragen durch Ihr stilles Gebet. In einem alten Zeugnis über die Spendung der Weihe, das aus dem 3. Jahrhundert stammt, lesen wir: „Alle sollen das Schweigen einhalten und in ihren Herzen beten, weil der Heilige Geist herabkommt.“ Beten wir, dass der Heilige Geist seine Gaben über die jungen Männer ausspende, die er damit zu Priestern weiht.

Liebe Eltern, Angehörige und Freunde, tragen Sie Ihren Sohn, Ihren Bruder, Ihren Freund auch weiter mit im Gebet! Ganz herzlich und eindringlich bitte ich alle, dass Sie Ihre Pfarrer und Kapläne stützen und sie nicht durch übertriebenes Anspruchsdenken überfordern! Wie die Flitterwochen bei einem jungen Ehepaar einmal zu Ende gehen, so werden auch die Neupriester bald mit einer Situation konfrontiert, wo der Himmel nicht mehr voller Geigen hängt. Für die Zukunft unseres Bistums wird viel davon abhängen, dass wir zu einem immer besseren Verständnis und Miteinander finden zwischen Amtsträgern und Gemeinden, zwischen dem Bischof, den Priestern, Diakonen und Laien, zwischen hauptberuflichen und ehrenamtlichen Frauen und Männern, zwischen verschiedenen Gruppen und Strömungen. Ich habe keine Angst vor der Vielfalt, solange sie um Christus als Klammer der Einheit weiß! Wir brauchen einander nicht auf Händen zu tragen, aber wir sollten versuchen, ein Netzwerk des Vertrauens zu knüpfen, das hält, wenn Belastungsproben und Krisen kommen.

Die Wandlung

Noch einmal sollen die Hände zu uns sprechen: Nach dem Empfang der Priesterweihe werden die Neupriester mit mir an den Altar treten und die hl. Messe feiern. Mit mir zusammen werden sie ihre Hände ausbreiten über Brot und Wein. In der Kraft des Heiligen Geistes geschieht Wandlung. Aus eigener Kraft können wir das nicht. „Das ist mein Leib“: Das kann keiner aus sich heraus sagen. Wir tun es in persona Christi, im Namen und im Auftrag Jesu Christi. Brot und Wein wandeln sich in Leib und Blut Christi, weil sich zuvor in der Weihe in uns selbst eine Wandlung vollzogen hat. Durch die Handauflegung und das Gebet prägt Christus den Neupriestern gleichsam ein „Siegel“ ein. Ihr Leben bekommt einen neuen bleibenden „Charakter“, wie die Theologie es sagt. Liebe Weihekandidaten, ich wünsche Ihnen, dass Sie Persönlichkeiten mit Charakter werden und bleiben! Sie brauchen Christus nicht „herstellen“, sie müssen nur versuchen, ihn mit Ihren Talenten und Fähigkeiten „darzustellen“, so zu leben, dass man fragt, wes Geistes Kind Sie sind. Oder anders gesagt: Gerade in dieser schwierigen Zeit, die wir gerade erleben und erleiden, ist der Priester nicht nur berufen, Rechtgläubigkeit zu lehren, sondern Glaubwürdigkeit vorzuleben.

Der verstorbene Papst Benedikt hat 1968 als junger Professor folgendes geschrieben: „Der christliche Priester ist im Gegensatz zum jüdischen und erst recht zum heidnischen sacerdos nicht eigentlich und primär Kultdiener, der ein bestimmtes Ritual abwickelt, sondern Gesandter, der die Sendung Christi auf die Menschen hin fortsetzt. (…) Der Priester ist deshalb nicht ‚Kulthandwerker’, sondern Diener des Wortes.“ Und im Hinblick auf die hohen Ansprüche, die an den Priester herangetragen werden, meint Joseph Ratzinger: „Das Zerrissenwerden ist – wir dürfen uns nichts vormachen – furchtbar, aber es ist auch fruchtbar. Es öffnet den Spalt, der den Blick in das Unendliche freigibt.“¹

Liebe Weihekandidaten, liebe Schwestern und Brüder!

Vor fast 39 Jahren habe ich selbst die Priesterweihe empfangen. Ich habe erlebt, welchen Wandlungen die äußere Gestalt der Kirche in der letzten Zeit ausgesetzt war. Gleichzeitig staune ich, wie der Kern immer derselbe ist: Christus gestern, heute und in Ewigkeit. Mit diesem Statement dürfen wir die Zukunft wagen. Der Herr wird Sie führen und begleiten. Dieses Grundvertrauen möchte ich Ihnen für Ihren priesterlichen Dienst empfehlen. Gottes Hände sind gute Hände. Deshalb bete ich jeden Abend: Herr, auf dich vertraue ich. In deine Hände lege ich mein Leben. Amen.

¹ In: Geist und Leben 41 (1968), S. 347-376.